Ein Erfahrungsbericht

Zeit meines Lebens bin ich schüchtern und sehr zurückhaltend. Allmählich verschlechterte sich mein psychischer Zustand und die Angst vor Menschen wurde stärker und stärker. Längst getraute ich mich nicht mehr hinaus. Anderen Menschen zu begegnen, die Kontakt herstellen könnten -und sei es nur die Kassiererin im Supermarkt- wurde unmöglich. Ich glaubte verrückt zu werden- einfach durchzudrehen und litt. Drehte mich im Kreis aus Angst, Scham und Depression. Um nicht ständig mehr und mehr zu grübeln, verbrachte ich mehr und mehr Zeit am PC. Ich hatte mal über Soziale Ängste gelesen und suchte nun nach Informationen im Internet. Letztendlich fand ich einiges über Soziale Phobie und erkannte mich zum Teil in den Beschreibungen und Erfahrungsberichten wieder. Sofort teilte ich diese Erkenntnis per Telefon mit meiner besten Freundin und schickte ihr eine Email mit den gefundenen Links. Einen Tag später erzählte sie mir von einer Anzeige im HEFT, dem Paderborner Veranstaltungskalender. Es gab dort eine Anzeige einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Sozialer Phobie!!! Ich hatte noch nicht ins HEFT geschaut, tat dieses aber nun sofort.

Doch oh Schreck! Kontakt über die Website der Selbsthilfe Kontaktstelle oder per Telefon! Nein, das pack ich nicht! Und was heißt überhaupt Selbsthilfe ? Ein Kreis von Betroffenen, die sich gegenseitig erzählen wie schlecht es ihnen geht und jammern? Eine Gruppe, die irgendwelche diffusen Übungen oder Trainings macht? Und jeder hat diesen und jenen Tipp, was man tun könnte, damit die Angst einen nicht auffrist ?! Ich zögerte und zauderte. Dann schnitt ich die Anzeige aus und heftete sie an die Pinnwand; vielleicht später mal... und vergas sie..

Einige Monate später war ich zur stationären Therapie im Westfälischen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie. Ich bekam meine Depressionen in den Griff und lernte Menschen kennen, die genauso an Ängsten litten, wie ich. Ich fand dort Freunde mit viel Verständnis. Einer dieser Freunde, ging auf Anraten des Therapeuten zur Selbsthilfegruppe. Ich ließ mir danach erzählen, wie es gewesen war. Wie ein solches Gruppentreffen abläuft: "Man sitzt im Kreis und macht ein kurzes Blitzlicht über die Befindlichkeit. Dann werden Themen besprochen. In der Gruppe sind ältere und jüngere Leute." Das klang doch gut in meinen Ohren. Und eine Woche später fuhr ich einfach mit.

Ich erinnere mich gut an diese erste Sitzung im Januar. Erstaunlich war der damals doch recht große Kreis von 12 Personen. Man konnte sehr offen reden, war aber nicht gezwungen es zu tun. Und man fand sich selbst in dem wieder, was andere sagten. War nicht mehr allein mit seinen Erfahrungen. Zwei Dinge sind mir aus der Anfangsphase haften geblieben, die ich gerne weitergeben möchte: "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry, aus dem vorgetragen wurde. Und das Wort: "Vertrauensvorschuss". Ich halte es für wichtig der Gruppe einen solchen zu gewähren. Doch auch sich selbst muss man einen "Vertrauensvorschuss" geben, sich zu überwinden zu uns zu kommen. Ich jedenfalls habe für das vorgeschossene Vertrauen Rückhalt, Verständnis und Freundschaft erhalten.

Marion